Essstörungen
Mittwoch, den 08. Oktober 2008 um 08:59 Uhr
Unter Essstörungen im engeren Sinne versteht man die Magersucht (= Pubertätsmagersucht, Anorexia nervosa) und die Bulimie (= Ess-Brech-Sucht). Beide Erkrankungen haben in den letzten Jahren zugenommen. Rund 1 % der jungen Mädchen und 0,1 % aller Jungen etwa ab dem 15. Lebensjahr sind betroffen. Die Prognose der Betroffenen ist schlecht: Je nachdem, wie weit man den Kreis der Erkrankten wählt, versterben 1 – 5 % an ihrer Magersucht oder Bulimie. Und über ein Drittel erkrankt an schweren psychiatrischen Erkrankungen im späteren Leben – bis hin zu wiederholten Selbsttötungsversuchen. Entscheidend ist deshalb die rechtzeitige und konsequente Therapie – die notfalls auch gegen den Willen der Kranken durchgesetzt werden muss. Leitbeschwerden
30 % der Schülerinnen über zwölf Jahre zeigen Warn- oder Frühzeichen einer Essstörung. 2 % der jungen Frauen leiden unter einer ausgeprägten Form der Magersucht, die Bulimie ist möglicherweise sogar doppelt so häufig. Die Zahl der Mädchen, die vor ihrem 15. Geburtstag erkrankt, ist im Steigen begriffen, ebenso die Zahl essgestörter Jungen. Wann zum ArztIn den nächsten Tagen, wenn
Heute noch, wenn
Das Wichtigste aus der MedizinWarum?Die Frage nach dem Warum ist wie bei vielen psychischen Erkrankungen auch bei den Essstörungen nur schwer zu beantworten. Eine erbliche Veranlagung könnte eine Rolle spielen, ein starker Einfluss ist sicherlich das Schlankheitsideal unserer Gesellschaft, das sich bei manchen Menschen sozusagen »verselbstständigt«. Auch die psychologischen Theorien zur Krankheitsentstehung haben viele Facetten: Viele Psychologen sehen eine gestörte Identitätsfindung des jungen Mädchens mit problematischer Ablösung vom Elternhaus und Verweigerung der weiblichen Rolle. Durch das Fasten will das Kind ein Mädchen bleiben, um seiner (konfliktbesetzten) Rolle als Frau zu entgehen. Anorektiker werden von Psychologen oft als leistungsorientierte, perfektionistische Persönlichkeiten beschrieben, die sich schwer tun, negative Gefühle zu äußern, und zudem unter einem schwachen Selbstwertgefühl leiden. Sicher ist: Das so genannte Körperschema der Betroffenen (also die Wahrnehmung der eigenen Körperproportionen) sind sowohl bei der Magersucht als auch bei der Bulimie schwer gestört: Die jungen Mädchen fühlen sich trotz teilweise erheblichen Untergewichts noch immer »fett« und ihr Selbstwertgefühl hängt stark von ihrem (Unter-)Gewicht ab. Die MagersuchtViele pubertierende Mädchen probieren verschiedene Kostformen aus oder beginnen trotz Normalgewichts mit einer Diät, und so beginnt die Magersucht oft wenig dramatisch. Doch auch wenn das zunächst angegebene Zielgewicht erreicht ist, fasten die Mädchen weiter. Sie verweigern sich die Nahrung immer mehr – manche Betroffene essen nur ein trockenes Brötchen und einen Apfel über den ganzen Tag. Das Körpergewicht nimmt rapide ab (BMI unter 17,5), manchmal bis auf die Hälfte des Ausgangsgewichts. Gefährdet sind vor allem Mädchen, in deren Lebensumfeld Schlankheit sehr stark betont wird, also Balletttänzerinnen, Models usw. Die Gewichtsabnahme fällt oft lange Zeit nur wenig auf, da die Mädchen vielfach zwiebelschalenartig mehrere weite Kleidungsstücke übereinander anziehen. Viele Betroffene kochen und backen häufig für andere, nehmen dann aber unter Ausreden nicht an der Mahlzeit teil oder essen unter »Zerpflücken« der Nahrung nur minimale Mengen. Gelegentlich wird die »Diät« durch Appetitzügler, Abführmittel oder harntreibende Medikamente »unterstützt«. Gleichzeitig legen die Erkrankten sowohl in der Schule als auch beim Sport großen Ehrgeiz an den Tag (radeln z. B. jeden Tag 10 km zur Schule und treiben zusätzlich noch Sport). Nicht wenige isolieren sich immer mehr von ihren (früheren) Freunden. Typischerweise setzt die Regelblutung schon früh im Krankheitsverlauf aus (der Grund ist die körperliche Mangelsituation, die dem Körper signalisiert, dass ein Kind jetzt nicht empfangen werden kann), die körperliche Leistungsfähigkeit bleibt hingegen lange erhalten. Die betroffenen Mädchen oder Frauen fühlen sich nicht krank. Wenn sie ihr Gewicht als Problem sehen, dann nur in dem Sinne, dass sie es noch als zu hoch empfinden. Die BulimieHauptkennzeichen der Bulimie sind Heißhungeranfälle, bei denen die Betroffenen binnen kurzer Zeit Unmengen von Essen in sich hineinstopfen. Diese Anfälle sind mit Scham und Schuldgefühlen verbunden und werden meist gegenüber der Umwelt verheimlicht. Danach führen die jungen Frauen (die Bulimie beginnt durchschnittlich etwas später als die Magersucht) absichtlich Erbrechen herbei, um ihr Gewicht halten zu können. Folge sind manchmal deutlich sichtbare Veränderungen der Schneidezähne. Auch zwischen den Anfällen ist das Essverhalten nicht normal, die Betroffenen sind ständig »auf Diät«, Missbrauch von Abführmitteln oder harntreibenden Medikamenten ist häufig. Das Körpergewicht ist meist in etwa normal. Im Gegensatz zu Magersüchtigen empfinden Bulimikerinnen sich als krank und leiden sehr. Fließende ÃœbergängeSchlank und trotzdem nicht zufrieden – die von Magersucht betroffenen Jugendlichen sitzen in einer »Wahrnehmungsfalle«, so als schauten sie durch einen gekrümmten Spiegel, der ihnen ein in die Breite verzogenes Bild vorgaukelt. Die Therapie muss deshalb oft ohne die »Einsicht« des Betroffenen erfolgen.
[ISPI] Magersucht und Bulimie werden zwar als getrennte Erkrankungen angesehen, die Übergänge sind aber fließend. Ungefähr die Hälfte der magersüchtigen Patientinnen bekommt gelegentlich Heißhungerattacken, und die Magersucht kann in das Vollbild einer Bulimie übergehen. Der umgekehrte Weg ist demgegenüber wesentlich seltener. Nicht selten: weitere AuffälligkeitenHäufiger als statistisch zu erwarten, treten die Essstörungen nicht isoliert auf, sondern sind begleitet oder wechseln mit Depressionen, Zwängen, Ängsten oder Süchten. Dies könnte ein Ausdruck der nicht selten konfliktbeladenen Familiensituation sein. Das macht der Arzt
Aktualisiert ( Montag, den 09. Februar 2015 um 14:12 Uhr )
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