"Gelbsucht"
Montag, den 15. Juni 2009 um 07:27 Uhr
Mindestens 50 % der Neugeborenen sind eine Zeit lang nach der Geburt mehr oder weniger »gelb«. Auch wenn die Mediziner ihnen dann eine Gelbsucht (oder, lateinisch, Ikterus) bescheinigen: Krank sind sie in aller Regel nicht. Meist nämlich handelt es sich um eine normale, also nicht durch eine Krankheit bedingte Erscheinung. Um dem Rechnung zu tragen, nennt der Mediziner die Standardform der Gelbsucht auch physiologische (d. h. zu den normalen Körperfunktionen gehörige) Gelbsucht. Es mehren sich Hinweise, dass die zeitweilige »Verfärbung« der Neugeborenen sogar einem nützlichen Zweck dient: Der für die Gelbfärbung verantwortliche Stoff jedenfalls, das Bilirubin, hat antioxidative, d. h. den Stoffwechsel schützende Eigenschaften. Die physiologische Gelbsucht beginnt um den zweiten oder dritten Lebenstag, meist im Gesicht. Nicht nur die Haut, sondern auch das Augenweiß und die Schleimhäute, etwa am Gaumen des Kindes, sind gelblich eingefärbt. Die Gelbsucht wandert dann den Körper entlang nach unten. Meist ist sie unterhalb des Bauchnabels kaum mehr zu sehen und geht etwa mit dem Ende der ersten Lebenswoche von selbst zurück, sie kann aber auch länger anhalten. Urinfarbe und Stuhlfarbe sind unverändert. Manchmal ist der Säugling etwas müde. Normale Gelbsucht – woher?Der unglückliche Name »Neugeborenengelbsucht« schreckt viele Eltern auf. Dabei handelt es sich in aller Regel um eine ganz normale Reaktion, die dem Neugeborenen sogar nützlich sein könnte. [HRP]
Die Verfärbung kommt durch ein Stoffwechselprodukt zustande, das auch beim Erwachsenen anfällt, wenn auch in geringerer Menge – dem Bilirubin. Dieses entsteht beim Abbau des roten Blutfarbstoffes, des Hämoglobins, das im Blut den Sauerstofftransport übernimmt. Solange das Kind im Mutterleib ist, wird das Bilirubin über den Mutterkuchen (die Plazenta) und damit den mütterlichen Körper (genauer gesagt, ihre Leber) »entsorgt«. Nach der Abnabelung muss das Baby dies selbst tun. Krankhafte UrsachenDie Gelbsucht schädigt den Körper nur dann, wenn das Bilirubin sehr hohe Werte erreicht. Bei der normalen Gelbsucht kommt das nur in ganz extremen Ausnahmefällen vor, etwa wenn das Baby in den ersten Tagen nichts trinken kann. Sie beginnen früher, d. h. bereits am ersten Lebenstag. In diesen Fällen liegt der Gelbsucht ein viel zu rascher Blutzerfall zugrunde. Dieser kommt dadurch zustande, dass sich das mütterliche Blut und das Blut des Neugeborenen nicht vertragen (so genannte Blutgruppenunverträglichkeit). Da die Verträglichkeit der Blutgruppen heute getestet wird und gegen die schwerste Form, die Rhesus-Unverträglichkeit, zudem vorbeugend ein Medikament gespritzt werden kann, ist diese Form der Gelbsucht heute sehr selten. Sie halten länger an. Besteht die Gelbsucht länger als zwei Wochen, so ist sie manchmal durch ein hormonelles Ungleichgewicht bedingt, etwa im Rahmen einer nicht erkannten Unterfunktion der Schilddrüse. Da praktisch alle Neugeborenen heute routinemäßig darauf untersucht werden, ist diese Form extrem selten. Das Baby ist dabei krank. Schwere Formen der Gelbsucht können zum Beispiel durch eine erregerbedingte Blutvergiftung (Sepsis) entstehen. Eine andere Ursache für die lange anhaltende Gelbsucht ist die so genannte Muttermilch-Gelbsucht. Sie kann bei einem kleinen Teil der gestillten Kinder beobachtet werden und ist harmlos. Wahrscheinlich enthält die Milch mancher Mütter einen bestimmten Stoff, der den Abbau des Bilirubins hemmt. Abstillen ist nicht erforderlich. Gelbsucht, bei der gleichzeitig der Urin braun ist und der Stuhl sehr hell (fast weiß) wird, ist immer krankhaft und kann auf einen Leberschaden hinweisen. Das macht der ArztVermutet der Arzt, dass es sich um eine krankhafte Form der Gelbsucht handeln könnte, so bestimmt er das Bilirubin durch einen Bluttest. Dies macht aber nur bei auffälligen Verläufen einen Sinn. Als Routineuntersuchung bei allen »gelben« Babys wird der Test nicht empfohlen – schließlich ist er immer auch mit einem Pieks für das Baby verbunden, das in den ersten Tagen schon genug auszuhalten hat. Zeigt die Messung einen sehr hohen Wert, so können weitere Bluttests die Ursache nachweisen, etwa einen zu raschen Blutabbau oder eine Sepsis. Eine babyfreundliche Alternative für Kinder mit behandlungsbedürftiger Gelbsucht: die »Lichtdecke«. Die Decke wird wie ein Strampler angezogen und bescheint über winzige Glasfiberfasern die darunter liegende Haut. Die Haut kann nun das dort eingelagerte Bilirubin in wasserlösliche Formen umwandeln, die über den Urin ausgeschieden werden.
[RHO]Ab einem bestimmten Grenzwert beginnt der Arzt zur Sicherheit eine so genannte Phototherapie – dazu wird das Baby nackt unter besondere Leuchtröhren gelegt. Das von diesen Leuchtröhren vorzugsweise ausgesandte Licht blauer Wellenlängen sorgt dafür, dass das Bilirubin in der Haut des Babys so verändert wird, dass es mit dem Urin ausgeschieden werden kann (es muss also nicht über die Leber entsorgt werden). Als Alternative kann das Baby auch in spezielle Decken mit eingewobenen lichtleitenden Fasern eingepackt werden. Die Fasern kommen alle aus einem Bündel, das an eine Kaltlichtquelle angeschlossen ist. Mit Hilfe dieser neuen Technologie kann die Phototherapie heute auch zu Hause durchgeführt werden. Nur ganz selten, nämlich bei schweren Formen der Blutgruppenunverträglichkeit, muss der Arzt im Krankenhaus Blutaustauschtrans-fusionen veranlassen. Hier wird ein Teil des Blutes durch verträgliches Fremdblut ersetzt, um so den weiteren Anstieg des Bilirubins zu stoppen. Das können Sie tunKrankhafte oder gefährliche Formen werden schon in der Entbindungsklinik behandelt. Bescheinigt der Arzt Ihrem Baby eine kontrollbedürftige Gelbsucht, so können Sie das Abklingen der Gelbsucht mit einfachen Mitteln unterstützen:
Die »Gelbverfärbung« nach Beginn der Beifütterung ist keine »Gelbsucht«, sondern kommt von der Karottennahrung. Bei diesen harmlosen, durch Einlagerung des Karottenfarbstoffs Karotin bedingten Formen ist das Augenweiß nicht verfärbt.
Aktualisiert ( Montag, den 06. Juli 2009 um 10:53 Uhr )
© Herbert Renz-Polster et. al.: Gesundheit für Kinder, 2. Auflage 2006, Kösel Verlag München |