Hintergrundwissen Knochen und Muskeln
Dienstag, den 07. Oktober 2008 um 12:23 Uhr
Hart, aber biegsamWenn von Kinderknochen die Rede ist, bekommen Ingenieure große Augen. Denn auch wenn sie nach außen wie bloße Stützpfeiler erscheinen, sind die Knochen unserer Kinder ungemein biegsam – und können sich noch dazu an wechselnde Belastungen anpassen. Lernt das Kind etwa zu laufen, so richten sich auch seine Knochen auf die neue Lastverteilung ein. Das kindliche Skelett – hier im dritten Lebensjahr – enthält noch viel mehr knorpelige Anteile und weniger Knochen als beim Erwachsenen. Auch sind die Knochenenden meist noch vollständig von Knorpelstrukturen gebildet, deren Elastizität der Grund dafür ist, warum Kinder sich trotz abenteuerlicher Stürze eher selten die Knochen brechen.
[GRA]Knochen sind aber nicht nur Meisterwerke der Statik, sie haben auch ein langes Gedächtnis. Mit dem Satz »Osteoporose ist eine pädiatrische Erkrankung« sorgte ein amerikanischer Forscher noch vor zehn Jahren für Aufhorchen. Heute zweifelt niemand mehr daran, dass die Ursachen des Knochenschwundes letztlich schon in der Kindheit zu suchen sind. Denn das Knochenwachstum lässt sich mit einer Rentenversicherung vergleichen: Je mehr in den »Arbeitszeiten« eingezahlt wird, desto mehr ist für die »Ruhezeiten« verfügbar. Lediglich in den ersten 20 Lebensjahren kann der Knochen Masse ansetzen. Und das macht er nur, wenn er durch häufige Bewegung belastet und gleichzeitig gut »ernährt« wird: Denn zur »Knochennahrung« gehört dabei nicht nur eine gesunde, kalziumreiche Ernährung, sondern auch Sonnenlicht, das die Haut zur Bildung des knochenaufbauenden Vitamin D anregt. Kurz nach der Pubertät hat die Knochenmasse ihren Gipfel erreicht und der langsame, aber unaufhaltsame Abbau beginnt. Ein Knochen, der entsprechende Reserven angelegt hat, hält dann Jahrzehnte länger. Auch bei den Knochen gilt also das Bild vom »Lebensbaum«, dessen Wurzeln in der Kindheit stehen. WissenswertDer Mensch hat mehrere Hundert Knorpel und Knochen, die den Körper von innen stützen sowie innere Organe und Gehirn vor Verletzungen schützen. In ihrer Gesamtheit werden sie als Skelett bezeichnet. Das Skelett bildet zusammen mit den Skelettmuskeln den Bewegungsapparat und ermöglicht uns aktive Bewegungen. Die drei hell unterlegten Bilder zeigen den Röhrenknochen eines Kindes. In der Vergrößerung links unten wird sichtbar, wie Blutgefäße von außen in den Knochen eindringen und ihn ernähren. Die obere Vergrößerung stellt das kolbig aufgetriebene Ende des Röhrenknochens dar. Der dort vorhandene Knorpel (blau) verleiht dem Knochen nicht nur Elastizität, sondern ermöglicht auch das weitere Knochenwachstum. Zum Vergleich im dunkel unterlegten Bild der Röhrenknochen eines Erwachsenen. Hier ist die Epiphysenfuge verknöchert und der Knorpelanteil bis auf den Knorpelüberzug an der Gelenkfläche verschwunden – das Wachstum ist beendet.
[GRA] Die KnochenUnsere Knochen sehen ganz unterschiedlich aus. Die Röhrenknochen sind lang und dünn mit aufgetriebenen Enden, andere hingegen eher kurz oder platt. Ganz außen werden die Knochen von der Knochenhaut (= Periost) überzogen – sie tut uns bei dem bekannten Tritt vors Schienbein weh. Die äußere Knochenschicht (Knochenrinde oder Kortikalis) ist massiv, im Innern des Knochens hingegen bilden zarte Knochenbälkchen das Knochengebälk (= Spongiosa). Die Bälkchen sind in Abhängigkeit von der einwirkenden Belastung genau so angeordnet, dass sie dem Knochen die erforderliche Stabilität verleihen. Dadurch ist unser Skelettsystem trotz seiner Stabilität enorm leicht. Der Hohlraum zwischen den Knochenbälkchen heißt Knochenmarkhöhle – dort werden in den größeren Knochen unsere Blutzellen vom Knochenmark gebildet. Eine Besonderheit des kindlichen Knochens sind die Epiphysenfugen. Von dieser knorpeligen Schicht am »dicken« Ende der Knochen geht das Längenwachstum aus. Knochenbrüche in diesem Bereich sind daher bei Kindern problematisch, wenn sie zu einer Schädigung der Epiphysenfuge führen, da der Knochendann seinen »Wachstumsmotor«verliert. Mit Verknöcherung der Epiphysenfuge im Laufe der Pubertät ist das Wachstum dann unwiderruflich beendet. Die verschiedenen Knochen sind durch Gelenke miteinander verbunden, die je nach ihrem Aufbau sehr unterschiedlich beweglich sind. Zwischen den beiden knorpeligen Gelenkflächen verbessert die sog. Gelenkflüssigkeit die Verschiebbarkeit. Die Gelenkkapsel umhüllt das Gelenk und gibt ihm zusammen mit den Bändern Halt. Die MuskelnDie Knochen allein würden den Menschen zwar stabil, aber nicht beweglich machen. Erst unsere Skelettmuskeln ermöglichen durch ihr Zusammenziehen (Kontraktion) die aktive Beweglichkeit. Ãœber Sehnen sind die Muskeln an den Knochen befestigt und können so an ihm »ziehen«. Den Befehl zum Zusammenziehen bekommen die Skelettmuskeln über die Nerven vom Gehirn.
Was alles normal istMit dem Wachstum ist das Skelett ständig in Bewegung. Dabei entstehen vor allem an Beinen und Füßen immer wieder Knochenstellungen, bei denen sich Eltern zu Recht fragen, ob das denn »noch normal« sei. Wir wollen deshalb im Folgenden kurz die normalen Erscheinungen zusammenfassen: O-BeineO-Beine sind bis zum zweiten Geburtstag völlig normal und werden oft durch den Babyspeck an den äußeren Waden noch betont. Ob die O-Beine vielleicht doch einmal vom Kinderarzt begutachtet gehören, können Sie selbst einfach feststellen: Legen Sie Ihr Kind auf den Rücken und strecken Sie die Beine gerade aus, und zwar so, dass sich die Fußknöchel innen berühren. Nur wenn der Spalt zwischen den Knien (von Innenseite zu Innenseite gemessen) mehr als 5 cm beträgt, könnte etwas Krankhaftes (etwa eine Rachitis oder bestimmte Skelettfehlbildungen) dahinterstehen. Auch wenn nur ein Bein gebogen ist oder O-Beine nach dem zweiten Lebensjahr noch vorhanden sind, sollten Sie den Kinderarzt befragen. X-BeineSo normal O-Beine für den Säugling sind, so normal sind X-Beine für das Kleinkind. Sie verschwinden von selbst spätestens bis zum zehnten Lebensjahr. Legen Sie Ihr Kind auf den Rücken und strecken Sie seine Beine gerade aus, und zwar, so, dass sich die Innenknöchel der Knie in der Mitte berühren. Wenn der Spalt zwischen den Innenknöcheln des Fußes über 5 cm breit ist, sollte der Kinderarzt etwa alle vier Monate den Befund kontrollieren. Ist er größer als 10 cm, wird der Arzt die Beine möglicherweise röntgen lassen. Dasselbe gilt, wenn X-Beine außerhalb des »typischen« Alters auftreten. PlattfüßeAuch Plattfüße sind bei Säuglingen und Kleinkindern normal, da in diesem Alter ein Fettpolster im inneren Fußgewölbe sitzt und es »platt« erscheinen lässt. Mit dem Laufenlernen verschwindet das Fettpolster allmählich, der Fuß wird zudem von den stärker werdenden Muskeln »aufgerichtet«. Mit dem Stehen werden die Füße des Kleinkindes auseinander gedrückt und der Druck dann an der Seite »aufgefangen«. Die Sohlen der ersten Schuhe sind deshalb typischerweise an den Fersen außen abgelaufen. Ist der Schuh innen abgelaufen oder klagt das Kind über Schmerzen beim Gehen, so sollte der Fuß vom Kinderarzt untersucht werden. Beobachtet er im Zehenstand kein ausreichend entwickeltes Fußgewölbe, so verordnet er möglicherweise Einlagen oder überweist Sie zu einem Kinderorthopäden. Auch wenn er eine Bewegungseinschränkung, eine Muskelschwäche oder eine Ãœberstreckbarkeit im Fußgelenk beobachtet, wird er Sie zum Orthopäden überweisen. EinwärtsgangBeim Einwärtsgang, auch als Zeheninnengang oder in der Fachsprache als Innenrotationsgang bezeichnet, sind die Füße »einwärts gedreht«, die Zehen zeigen also etwas nach innen. Ein solches Gangbild ist beim Kleinkind recht häufig und meist nicht krankhaft. Der Grund dafür ist überwiegend oberhalb der Knie zu finden: Der Oberschenkel ist bei Kleinkindern nämlich oft nach innen gedreht, so dass die Knie nicht genau nach vorne, sondern ein bisschen aufeinander zu weisen. Praktisch immer verliert sich dies mit 7–8 Jahren. Solange die Fußknöchel voll beweglich sind und keine Fehlbildung der Hüfte vorliegt, ist keine Behandlung erforderlich. SichelfüßeDie Zehen können auch bei Sichelfüßen nach innen weisen. Die Knie stehen hier in normaler Position, zeigen vielleicht sogar etwas nach außen, aber der Vorfuß ist in sich nach innen gedreht. Nur bei zugrunde liegenden Muskelproblemen (z. B. bei einer Spastik) oder angeborenen Sichelfüßen ist eine Therapie erforderlich. AuswärtsgangDer Auswärtsgang (= Zehenaußengang, Außenrotationsgang) ist eher selten, aber meist ebenfalls nicht krankhaft. Die Füße sind hier etwas »auswärts gedreht«, die Zehen zeigen entsprechend nach außen. Ursache des Auswärtsganges sind meist insgesamt nach außen gedrehte Beine. In jedem Fall wird der Kinderarzt die Hüfte untersuchen, um angeborene Fehlstellungen auszuschließen. Ansonsten erfolgen weitere Untersuchungen nur bei einseitigem Auftreten oder wenn die Füße noch nach dem achten Lebensjahr nach außen gedreht sind. ZehenspitzengangBeim Zehenspitzengang handelt es sich um eine Gewohnheit kleiner Kinder, die kurz zuvor laufen gelernt haben. Solange das Kind auch normal auf der Ferse stehen kann, das Fußgelenk normal beweglich ist und keine Zeichen einer Muskelerkrankung (Spastik) vorliegen, ist er kein Anlass zur Sorge. Barfußlaufen?Knochen sind in einem ständigen Umbau begriffen: Neues Knochenmaterial bildet sich dort, wo der Knochen belastet wird, unbelastete Stellen hingegen werden allmählich abgebaut. Für diesen Umbau braucht der Körper vor allem Kalzium und Vitamin D. Entscheidend ist aber die Belastung – wird das Skelett nicht belastet, können der Knochen nicht aufgebaut und die um die Gelenke herum angelegten Stützbänder nicht gefestigt werden. Dies erklärt z. B., weshalb Barfußlaufen für die Ausbildung des Fußskeletts besser ist als das frühe Schuhetragen. Denn Schuhe stützen die Knochen von außen, so dass die Muskeln, die für das Fußgewölbe zuständig sind, nichts zu tun haben. Mit den ersten Schuhen können Sie deshalb getrost warten, bis Ihr Kind auf Asphalt läuft. Für den Winter bieten sich rutschfeste Socken an. Und wenn Schuhe, dann am besten nicht zu enge, das Muskelspiel nicht behindernde Schuhe mit einer flexiblen Sohle.
Aktualisiert ( Mittwoch, den 29. Februar 2012 um 17:23 Uhr )
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